Flaschen, die Geschichten erzählen

Wer glaubt, für guten Wein ins Burgund fahren zu müssen, ins Piemont oder die Toscana, der irrt. Auch deutsche Winzer bringen Weine hervor, die inzwischen in der ganzen Welt begehrt sind: 13 Weinanbaugebiete gibt es in Deutschland, auf insgesamt 100.000 Hektar wird zwischen Flensburg und dem Bodensee Wein angebaut. Eine Reise zu einigen besonders guten Tropfen.

Weinbau zwischen Mainz und Worms

Los geht’s in Rheinhessen, einem Weinanbaugebiet, dass viele geografisch erstmal gar nicht einordnen können: Es liegt zwischen Mainz und Worms am Rhein. Und dort, im kleinen Örtchen Uelversheim, führt Jürgen Kissinger einen Familienbetrieb, den sein Urgroßvater einst gründete. Bis Mitte der 80er Jahre war es hier üblich die Weine mit Restsüße auszubauen.

Jürgen Kissinger ging damals einen ungewöhnlichen Weg und setzte konsequent auf trocken ausgebaute Weine. „Das haben viele für völlig verrückt gehalten: Ein trockener Wein, noch dazu aus dem unbekannten Rheinhessen – wer sollte den kaufen?“

Der Erfolg gab ihm recht: Bis heute setzt Kissinger konsequent auf trockene Weine – und auf Individualität. „Bei uns darf jeder Jahrgang anders schmecken, genau das macht ja den Wein aus“, sagt er. „Ich will Persönlichkeit in die Flasche bringen, keinen standardisierten Massenwein, der jedem schmeckt.“

Besonders stolz ist Kissinger auf seinen „Chardonnay Kalkstein trocken“: „Der hat noch viel Potential, wenn man ihn noch verwahrt: Der Boden, auf dem die Reben wachsen, prägt den Wein sehr stark – ein kräftiger Weißwein mit etwas Schmelz, den man auch hervorragend zu einem richtigen Festtagsmenü trinken kann.“

Auch Katharina Wechsler, deren Weingut 15 Kilometer weiter südlich in Westhofen liegt, krempelte das elterliche Weingut vor zwei Jahren komplett um: Die vielen verschiedenen Rebsorten, die auf den Weinbergen wuchsen, hat sie auf wenige Sorten reduziert: Vor allem Riesling, Silvaner, Scheurebe und Burgundersorten zählen heute zum Portfolio, „das sind die klassischen rheinhessischen Sorten, die hier einfach optimale Bedingungen haben.“

Ihre eine Weinkollektion macht Profis und Einsteiger gleichermaßen neugierig: Klassische Rieslinge aus den Großen Lagen Kirchspiel, Morstein oder Benn auf der einen Seite, daneben aber auch „Fräulein Hu“, ein süffiger Perlwein aus Huxelrebe: „Ein Wein mit Augenzwinkern, der Spaß macht – auch das ist eine Seite von mir“, sagt Wechsler.

Für Wechsler erzeugt gerade der Spagat zwischen Einstiegs- und Spitzenweinen eine große Spannung: „Ich mag selbst Weine, über die ich nicht groß nachdenken muss, die einfach gut schmecken und Spaß machen. Und dann gibt’s die anderen, mit denen will ich mich beschäftigen: Die erzählen so viel von ihrer Herkunft, dem Boden, auf dem sie gewachsen sind. Auch die gehören für mich dazu.“

Ihr persönlicher Lieblingswein: „Der Alte Reben Silvaner liegt mir sehr im Herzen. Der Weinberg, von dem er stammt, ist über 45 Jahre alt und besteht aus alten, knarzigen Stöcken, die eng beieinanderstehen. Hier machen wir alles in Handarbeit. Im Wein selbst schmeckt man viel von seiner Herkunft: Die Kalkmineralität des Bodens im Zusammenspiel mit der Rebsorte, die sich nicht in den Vordergrund drängt. Ein leiser, aber ganz besonderer Vertreter dieser Traube.“

Tauberschwarz gibt es nur im südlichen Franken

Weiter geht’s nach Franken: Ins Taubertal. Dort wachsen Weine, die es nirgendwo sonst gibt: „Den Tauberschwarz gibt es nur bei uns im Tal, eine wirkliche Spezialität der Region. Aus den roten Trauben keltern wir einen fruchtig leichten Rotwein, der ein bisschen an Burgunder erinnert. Auch wenn die Rebsorten botanisch nichts miteinander zu tun haben“, erzählt der Winzer Jürgen Hofmann, der die Tradition seiner Familie fortsetzt – schon seit vielen Generationen haben sich die Hofmanns dem Wein verschrieben.  

Eine Tradition, die sich auch in der Bezeichnung der Weine fortsetzt: „Ein wirklich besonderer Wein ist der rote Sophie-Marie ‚R‘“, erzählt der Winzer: „Ich habe ihn nach meinen Töchtern benannt – in diesem Wein steckt besonders viel Liebe: den speziell handverlesenen Trauben wird eine längere Maischegärung, als auch eine mindestens 12 monatige Reifung im Barrique gewährt. Der Wein ist sehr lagerfähig: Denn können Sie auch noch zehn Jahre im Keller liegen lassen – und dann rausholen, wenn es wirklich was zu feiern gibt.“

Aber auch für den Alltag hat er Weine im Programm: „Einsteigern empfehle ich gern den FLINT: Ein unkomplizierter Wein, der Einsteigern genauso gut schmeckt wie Profis: Viel Frucht und eine schöne Duftigkeit, leicht aber trotzdem voll im Geschmack. Der schmeckt zum Essen, aber auch solo. Und das Gute: Er hat wenig Alkohol, tut also am nächsten Tag nicht weh.“

Die Nahe setzt auf Riesling

Auch an der Nahe setzen Winzer auf Tradition: Eine futuristische Vinothek, schreiend moderne Etiketten, einen Instagram-Account: Das alles sucht man im Weingut Jakob Schneider vergebens. „Ja, es stimmt: Wir sind traditioneller, fühlen uns damit aber sehr wohl“, sagt Laura Schneider augenzwinkernd. Gemeinsam, führen Sie und Ihr Mann Jakob Schneider, dem siebten Jakob in der Familiengeschichte, das Weingut an der Nahe – ein Familienbetrieb, der seine Tradition keinen Moden opfern will.

Der Schwerpunkt liegt auf Riesling – „von knochentrocken bis zur Trockenbeerenauslese“. Die Schneiders setzen bewusst alles auf eine Karte, einen Geschmack: „Modische Rebsorten wie Sauvignon Blanc gibt es bei uns nicht.“ Die geschmackliche Herausarbeitung der Einzellagen liegt Ihnen am Herzen. Überhaupt gedeihen Rieslinge auf dem kargen Böden der Nahe optimal.

Statt ausschließlich auf trockene Weine zu setzen, empfiehlt Jakob Schneider auch feinherbe Rieslinge: „Immer dann, wenn der Wein es mit starken Gewürzen aufnehmen muss: Garnelenspieße sind für mich ein perfekter Begleiter für unseren Riesling feinherb. Er ist moderat im Alkohol aber so kräftig im Geschmack, dass er auch gut mit asiatischen, leicht scharfen Gerichten getrunken werden kann.“

Zu einem Stück Fleisch passt für ihn gut ein Weißburgunder: „Die haben bei uns viel Leichtigkeit und Mineralität, sind ein bisschen wilder, als die meisten Vertreter ihrer Art. Der Wein hat eine schöne Tiefe und schmeckt trotzdem nicht fett. Ich trinke ihn auch ohne Essen sehr gern.“

Qualität statt Literflaschen aus Württemberg

Trollinger in der Literflasche, halbtrocken ausgebaut: In Württemberg produzierten die Winzer lange für den regionalen Bedarf, einen einfachen Alltagswein aus einer Traube, die riesige Erträge bringt. „Irgendjemanden hat man immer gefunden, der es trinken wollte – egal, wie sehr der Wein auf Masse getrimmt war“, erzählt Rainer Schnaitmann scherzhaft. Für den Winzer stand von vornherein fest: Für einen Massenwein wollte er sich nicht in den Weinberg stellen.

Mit drei Hektar Weinbergen, die er von seinem Vater pachtete, startete Rainer Schnaitmann 1997 – von Null: „Wir hatten keine Presse, keine Schläuche, keine Flaschen oder Etiketten“, erzählt er im Rückblick, alles musste er sich selbst aufbauen. „Meine jugendliche Arroganz hat mir geholfen“, sagt Schnaitmann und lacht: „Ich war einfach überzeugt, dass ich das kann.“

Überzeugt hat er auch andere schnell: Schon mit seinem ersten Wein landete Rainer Schnaitmann im Gault Millau, einem der wichtigsten Weinführer Deutschlands. Er gewann Wettbewerbe, wurde zweimal zum „Aufsteiger des Jahres“ gekürt.

Dabei fühlt er sich auch als Botschafter seiner Region und der örtlichen Rebsorten: „Der Lemberger ist eine Rebsorte, die häufig unterschätzt wird, gerade in Württemberg aber spannende Weine hervorbringt. Unser Lemberger Steinwiege ist unfiltriert und ohne Schwefelzugabe ausgebaut – ein Alltagswein auf hohem Niveau, der hervorragend zu Wild und anderem dunklen Fleisch passt!“

Für besondere Gelegenheiten, holt Schnaitmann gern einen Schwarzriesling aus dem Keller: „Auch wenn der Name es vermuten lässt, hat die Rebsorte nichts mit dem Riesling zu tun, sondern ist eine Burgundersorte, die auch in der klassischen Champagner-Cuvée vorkommt. Lange Zeit stand sie halbtrocken ausgebaut als Literflasche in den Regalen – das hat dem Ruf des Schwarzriesling schwer geschadet. Wir bauen ihn dagegen elegant aus: Ein heller, sehr seidiger Burgunder, der nicht viel Tannin hat und trotzdem sehr lagerfähig ist.“

Französische Traditionen in der Pfalz

Dass deutscher Wein heute einen sehr viel besseren Ruf hat als früher, liegt auch im Örtchen Laumersheim in der Pfalz begründet: Deutscher Wein galt bis in die 80er Jahren noch als süß und billig, wer etwas auf sich hielt, trank französische Tropfen. Vor allem in der gehobenen Gastronomie hätte es kein deutscher Wein zu dieser Zeit auf die Karte schafft.

 „Gehobene Restaurants hatten zunächst nur französische, später auch italienische Weine auf der Karte“, erinnert sich der Winzer Volker Knipser. Früh setzten er und sein Bruder auch auf Rotwein – bauten erst Portugieser, dann Spätburgunder an. „Wir können da selbstbewusst auch gegenüber dem Süden auftreten“, glaubt Knipser. Natürlich scheine dort die Sonne etwas stärker: „Aber wir haben in der Pfalz ein hervorragendes Klima, auch für Rotwein.“ Weil die Trauben langsamer reifen, lagern sie mehr Mineralstoffe ein: „Das bringt dem Wein zusätzliche Facetten, mehr Spiel“, glaubt Knipser.

Und noch etwas hat er sich von den französischen Nachbarn abgeschaut: Viele seiner Weine füllt er als Cuvée ab, mischt verschiedene Rebsorten miteinander. „Gemischte Weine haben in Deutschland leider noch immer einen schlechten Ruf“, sagt Knipser. Weil Kellereien Cuvées früher nutzten, um verschiedene Restbestände zusammen zu kippen, ist das Misstrauen groß. „Die Menschen glauben: Wenn sie einen Riesling oder einen Spätburgunder kaufen, wissen sie, was sie trinken“, so Knipser. In Frankreich sind Cuvée dagegen viel verbreiteter. „Ein guter Cuvée ist eine Komposition, etwas sehr Anspruchsvolles“, erklärt der Winzer. Sein Rosé Clarette wird in der Fachpresse als einer der besten Rosés Deutschlands gehandelt.

Rotwein passt für Knipser übrigens nicht nur in den Winter: „Wenn Sie abends auf der Terrasse grillen, ist der Gaudenz Cuvée ein toller Begleiter zum Fleisch. Auch zu Pasta-Gerichten mit roter Sauce trinke ich ihn im Sommer sehr gern. Er hat vergleichsweise wenig Alkohol, schmeckt deshalb frisch und macht Spaß: unkompliziert und trotzdem anspruchsvoll.“

Weinseligkeit am Kaiserstuhl

Dass ganz im Süden Deutschlands hervorragender Wein gemacht wird, ist kein Geheimnis. Leopold Schätzle aus Endingen am Kaiserstuhl hat dafür aber auch einige Belege: Seine Weine sind vielfach ausgezeichnet, gewinnen seit Jahren internationale Preise. Dabei besaß der Winzer anfangs kaum einen Hektar eigene Reben, den Betrieb finanzierte er durch eine Rebschule, in der er moderne Techniken zur Veredelung einführte.

Doch schon früh war klar: Der Wein, den Schätzle auf seiner kleinen Fläche kelterte, war ein Besonderer: „Nehmen Sie unseren Grauburgunder Spätlese. Dieser Wein ist etwas für Verliebte: Sich abends gemütlich auf dem Sofa zu zweit eine Flasche aufmachen, den Tag Revue passieren lassen und komplett entspannen – dafür ist dieser Wein gemacht!“

Auch deutsche Sekte können für Schätzle mit den berühmten Tropfen aus Frankreich mithalten: „Von der Machart ähnelt unser Juwel-Sekt dem Champagner, der Geschmack ist aber nicht vergleichbar, das wollen wir auch gar nicht. Alle Sekte werden bei uns in der Flasche vergoren und liegen lange auf der Hefe – das gibt ihnen einen besonders vollen Geschmack.“

Für Leopold Schätzle ist Wein ein Genussmittel, das sich mit nichts anderem vergleichen lässt: „Er kann die Menschen sogar in die Vorstufe des Himmels versetzen, und zwar in die Weinseligkeit. Das heißt, wunschlos glücklich zu sein“, schwärmt der Winzer. Er selbst trinkt am liebsten Grauburgunder und ist überzeugt: „Ich bin mir sicher, dass es im Himmel Wein gibt. Wenn’s dann auch noch ein Grauburgunder ist, bin ich ewig glückselig.“

Geschrieben von Maike von Galen

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